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Kämpfen, feiern
oder Arbeit für alle - Gedanken zum 1. Mai. - Der Sozialstaat ist in Gefahr! Mit dem Faulenzen müsse endlich Schluss sein. So oder ähnlich tönt es fast jeden Tag. Und Politiker, Parteien und Wirtschaftsverbände werden nicht müde, uns zu erklären, dass es nun endlich Zeit wäre umzulenken, wenn das Boot, in dem wir alle sitzen, nicht sinken solle. Pünktlich zum Tag der Arbeit beteiligt sich auch der Kanzler an diesen Auseinandersetzungen. Denn Schuld an der Arbeitslosigkeit sind eh´ nur die Arbeitslosen, die den ganzen Tag in der Hängematte liegen und sich vom Sozialstaat aushalten lassen. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Bernhard Jagoda, hat Pauschalurteilen über mangelnde Arbeitsbereitschaft und -fähigkeit Arbeitsloser widersprochen. "Ein erheblicher Teil derer, die sich Jahr für Jahr arbeitslos melden, findet schnell wieder Arbeit", so Jagoda. Im vergangenen Jahr sind zwar 6,9 Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos geworden, 7,2 Millionen haben sich aber wieder abgemeldet. 34 Prozent der Arbeitslosen konnten die Arbeitslosigkeit nach längstens drei Monaten, 59 Prozent spätestens nach einem halben Jahr und 79 Prozent innerhalb eines Jahres beenden. Entscheidend für die schnelle Wiedervermittelbarkeit Arbeitsloser sind objektive Merkmale wie Alter, Ausbildung und Gesundheit. Sieben von zehn Arbeitnehmern, die sich im vergangenen Jahr neu arbeitslos gemeldet haben, waren jünger als 50 Jahre und gesund und konnten nach durchschnittlich 6,1 Monaten ihre Arbeitslosigkeit beenden. Fehlende Ausbildung spielt in dieser Altersgruppe für die Dauer der Arbeitslosigkeit kaum eine Rolle; allerdings verlieren Ungelernte häufig ihren Job. Bei einer gesundheitlichen Beeinträchtigung oder gar einer Behinderung dauerte die durchschnittliche Arbeitslosigkeit 9,4 Monate. Besonders schwer haben es Arbeitslose jenseits des 50. Lebensjahres, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, und zwar auch dann, wenn sie beruflich qualifiziert und gesund sind. Für diese Personengruppe dauerte die Arbeitslosigkeit im Durchschnitt 17 Monate. Ende September 2000 waren mehr als die Hälfte der über 50-jährigen Arbeitslosen länger als ein Jahr arbeitslos - bei den unter 50-jährigen nur ein Viertel. Zwar ist das Risiko Älterer, arbeitslos zu werden, relativ klein; wen es aber trifft, der bleibt sehr lange arbeitslos. Ein Teil der über 55-jährigen Arbeitslosen strebt einen frühzeitigen Rentenbezug an, auch weil keine Chance auf Arbeit mehr gesehen wird. Der Mangel an Arbeitsplätzen ist nach wie vor der Hauptgrund für die hohe Arbeitslosigkeit. Sicher wird es auch unter den Arbeitslosen Leute geben, die lieber von Sozialhilfe leben als von eigener Arbeit. Ihre Zahl ist aber insgesamt gering. Im letzten Jahr sind 91.000 Sperrzeiten wegen Ablehnung einer zumutbaren Arbeit oder Eingliederungsmaßnahme ausgesprochen wurden. Aber wer will es einem Arbeitslosen, der 50, 100 oder mehr erfolglose Bewerbungen geschrieben hat, verübeln, wenn er den Mut verliert. Der Ruf nach neuen Gesetzen ist wohl eher Wahlkamfgetöse, statt ernsthafte Lösung des Problems, denn schon jetzt erhält, wer nicht arbeiten will, dafür auch die Quittung. Wer mehrfach Arbeitsangebote oder eine vorgeschlagene Weiterbildung ablehnt, bekommt zwölf Wochen lang keine Geldleistungen. Das ist eine automatische Rechtsfolge, die im Wiederholungsfall zur Einstellung der Zahlung führt. Das Problem dabei ist nicht zu große Nachsichtigkeit, sondern sind die hohen Anforderungen an das Verfahren. Für gerichtsfeste Sperrzeiten muss das Arbeitsamt einen hieb- und stichfesten Beweis führen. Vor allem müssen die Ämter auch Stellen zur Vermittlung anbieten können, um die Arbeitsbereitschaft festzustellen. Insbesondere in den neuen Ländern ist das in Anbetracht der Arbeitsmarktlage oftmals nicht möglich. Auch hohe Ansprüche der Betriebe sind ein Problem. So werden erfolgreiche
Absolventen einer Weiterbildungsmaßnahme allein auf Grund ihres
Lebensalters abgelehnt. Die Arbeitsämter haben in den letzten zehn
Jahren mit der Qualifizierung von 6,1 Millionen Menschen den Strukturwandel
in Deutschland erheblich erleichtert. 1,3 Millionen Arbeitnehmern ist
der erstmalige Erwerb eines Berufsabschlusses ermöglicht worden. |
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Sozial, unsozial
oder faul? - Die dümmste Diskussion des Sommers - Das Sommerloch verführt Politiker zu den abenteuerlichsten Ideen. Dabei fallen ihnen auch Dinge ein, für die andere sich schon Ärger eingehandelt haben. Aber nicht, dass sie deshalb auf die Idee kämen, damit wäre es nun genug, nein, man probiert es trotzdem! So wird mit steter Regelmäßigkeit immer wieder der Versuch unternommen, die einzig "Schuldigen" an der Arbeitslosigkeit, nämlich die Arbeitslosen, zu bestrafen, ihnen endlich das Faulenzen auszutreiben. Auch sächsische Politiker, allen voran Kajo Schommer, verantwortlich für das Resourt Wirtschaft und Arbeit, ist mit Feuereifer bei der Sache. Er ist einer der Fürsprecher der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Der sächsische DGB-Vorsitzende Hanjo Lucassen hat sich gegen dieses Konzept der Sächsischen Staatsregierung ausgesprochen: "Eine Zusammenlegung geht nur auf Kosten der Arbeitslosen. Deren Bezüge sollen noch unter Sozialhilfeniveau gedrückt werden. Damit wird Langzeitarbeitslosigkeit auch noch mit Armut bestraft." Lucassen äußerte den Verdacht, dass es der Staatsregierung
nur darum geht, 145.000 Langzeitarbeitslose aus der Arbeitslosenstatistik
zu bekommen. "Da die Betroffenen nicht mehr bei den Arbeitsämtern
geführt werden, ist die Arbeitslosigkeit auch gleich um ein Drittel
niedriger. Geholfen ist damit den Arbeitslosen aber nicht. Langzeitarbeitslosigkeit
und Bedürftigkeit wird immer weiter kommunalisiert und die Gesellschaft
kann sich so ihrer Verantwortung entziehen", kritisierte er. "Das
ist keine Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Armut im Freistaat.
Wir brauchen Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen." TBZ 80/01.09.2001 .......................................... Download |
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Verkauft und verlassen - Die Bewohner zwischen Tichatscheck- und Guts-Muths-Straße warten auf die Sanierung - Weithin sichtbar prangt in weißer Schrift auf rotem Grund das Schild einer bekannten Baufirma, die vor einiger Zeit in Turbulenzen geriet. Von den Fassaden bröckelt der Putz. Einige Fenster sind völlig verwittert, andere erst neu eingebaut. Es ist ein trostloser Anblick, den das Gebäude in Alttrachau bietet. Viele der Wohnungen sind verwaist. Die Bewohner haben die Ungewissheit, in der sie seit Monaten leben, satt. Zwischen Tichatscheck-/Guts-Muths-Straße und Alttrachau erstrecken sich die in den Jahren 1926 bis 28 durch die Wohnungsbaugenossenschaft für Handel, Handwerk und Gewerbe Dresden und Umgebung mbH nach Entwürfen des Architekten und Baurats Otto Reinhardt gebauten U- und L-förmigen Riegel. In den siebziger Jahren unter staatliche Verwaltung der KWV gestellt, erhielt die Genossenschaft die Häuser Anfang der neunziger Jahre zurück. Den Mietern wurde nun durch Vorstand und Geschäftsführung Unterstützung bei der individuellen Sanierung ihrer Wohnungen zugesichert. So konnten sie Bäder modernisieren, Heizungen einbauen und die alten Fenster ersetzen. Doch kaum, dass einige Emsige mit ihrer Sanierung fertig waren, wurden den Mietern ihre Leistungen, die sie bei der Modernisierung erbracht hatten, durch die Genossenschaft ausgezahlt und die Häuser an einen neuen Eigentümer verkauft. Häuser werden verkauftIn einem Schreiben vom 7. September 1998 wurde ihnen mitgeteilt, dass ihr Haus im Juni an die Wohn- und Gewerbebau-Firma von Rudolf Kuhnert verkauft sei. Kuhnert ist Bauunternehmer, aus Österreich, mit Niederlassungen in Deutschland, Spanien, der Türkei und dem Libanon. Vorstand der Genossenschaft ist zu diesem Zeitpunkt Karl-Heinz Wildmoser aus München, bekannt durch seine engen Beziehungen zum dortigen Fußballclub von 1860. Ob es seinerseits persönliche Kontakte zu Kuhnert gegeben hat, oder noch gibt, dazu wollte man uns auf Nachfrage nichts sagen. Auch über die Gründe des Verkaufs schwieg man sich aus. Rudolf Kunerts eigens gegründete Baufirma mit Sitz in der Tichatscheckstraße wollte jedenfalls nun die Häuser von Grund auf sanieren. Wohnungen sollen modernisiert werdenNoch im Juli 1998 wurde den Mietern fristgemäß die Modernisierungsankündigung zugestellt. Für viele war nicht einzusehen, warum die gerade von ihnen selbst modernisierten Wohnungen nun noch einmal saniert werden sollten. So gab es zahlreiche Proteste wegen der angekündigten Modernisierungsumlage. Der Baubeginn wurde deshalb immer wieder verschoben. Im Herbst des gleichen Jahres bot Kuhnert den Mietern ihre Wohnungen zum Verkauf an. Der Kaufpreis für eine etwa 70 m2 große Drei-Raum-Wohnung sollte bei rund 160.000 DM liegen. Die meisten Mieter lehnten dieses Angebot allerdings ab. Im Januar letzten Jahres ging es dann doch richtig los. Baufirmen rückten an. Häuserweise wurden Elektroleitungen und Heizungsrohre verlegt, Bäder und Toiletten modernisiert, Wände versetzt, Wohnungsgrundrisse verändert. Doch im Mai war alles vorbei. Dem Hauptauftragnehmer Philipp Holzmann AG, Niederlassung Dresden teilte Kuhnert bereits im April mit, dass er die Bauarbeiten zunächst für vier Monate einstellen wolle. Daraufhin wurden die Handwerker abgezogen. Einige nahmen gleich wieder alles mit, andere ließen Material, Geräte und den Bauschutt zunächst noch liegen. Danach geschah nichts mehr. Kuhnerts Firma schien in finanzielle Schwierigkeiten geraten zu sein. Die Mieter hat er nicht informiert, warum die Arbeiten eingestellt wurden. Für sie begann nun eine endlose Zeit des Wartens. Und so kursierten abenteuerliche und weniger abenteuerliche Gerüchte. Eigentümer hat Baustopp angewiesenOberbauleiter Springer von der Dresdner Holzmann-Niederlassung sagt uns am Telefon, dass er sich gut in die Situation der Mieter versetzen könne. Es sei sehr ärgerlich, wenn man in einer halbsanierten Wohnung leben müsse. Er legt aber auch Wert darauf zu betonen, dass der Baustopp nichts mit den Schwierigkeiten von Holzmann zu tun hätte. Dies sei ausschließliche Entscheidung des Bauherren gewesen. Und auch zeitlich gäbe es keine Zusammenhänge, denn der Baustopp in Trachau lag über ein halbes Jahr vor Holzmanns Problemen. Man hätte durch diese Entscheidung selbst finanzielle Schwierigkeiten gegenüber Subunternehmen und Lieferanten bekommen. Teile dieser Forderungen an den Bauherren seien auch bis heute nicht beglichen. Neue Hoffnung für die MieterBald ist es ein Jahr her, seit der Baustopp kam. Nun scheint ein Lichtschweif
am Horizont aufzutauchen. Uns sagte er, dass die Sanierung so schnell wie möglich weitergehen soll. Zunächst möchte er die Fassaden, Fenster und Dächer des denkmalgestützten Gebäudes instand setzen, um dem Verfall des Gebäudes Einhalt zu gebieten. Danach soll die Sanierung in den Wohnungen wieder aufgenommen werden. Auch das Thema Eigentumswohnungen sei zunächst vom Tisch. Wichtig ist, dass die Mieter jetzt merken, dass sich etwas bewegt. Vom Eigentümer der Häuser, dem Bauunternehmer Kuhnert ist unterdessen
nichts mehr zu hören. Selbst bei Holzmann, wo er noch Geld schuldet,
hat man ihn seit Monaten weder gesehen noch gehört. Die TBZ wird
Sie auf dem laufenden halten. |
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Noch kein Baubeginn
in Alttrachau - Mieter sind weiter im Unklaren - In der April-Ausgabe unserer Zeitung berichteten wir von Tortouren, die den Mietern der Häuser zwischen der Tichatschek-, der Guts-Muths-Straße und Alttrachau bei der Sanierung zugemutet wurden. Jetzt haben wir uns über den aktuellen Stand erkundigt.Eigentlich sollte es bald weitergehen mit der Sanierung der Häuser in Alttrachau, doch bisher platzen alle Hoffnungen der Mieter auf ein baldiges Ende der Provisorien wie die Seifenblasen. Dafür kocht es kräftig in der Gerüchteküche. Vom Verkauf der Häuser ist nun die Rede. Die Wohnungen wurden auch schon aufgemessen. Die Mieter sind irritiert. Ausgezogen sind aber keine mehr, so Hubert Offergeld, gerichtlich bestellter Zwangsverwalter der Häuser. Entschieden weist er diese Gerüchte zurück. Davon sei nie die Rede gewesen. Im Gegenteil, er ist daran interessiert, den Bau so schnell als möglich weiterzuführen. Die rechtliche Situation ist allerdings etwas kompliziert, denn als Zwangsverwalter sei er lediglich für den Erhalt der Substanz verantwortlich. Doch hier handele es sich um einen Sonderfall, schließlich ist der Umbau bereits begonnen wurden, da wolle er nicht ohne den Eigentümer entscheiden. Dieser ist nach wie vor Bauunternehmer Kunert aus Österreich. Mit ihm, der sich ansonsten bedeckt hält, hat Offergeld Kontakt aufgenommen und seien Zustimmung geholt. Von dieser Seite gäbe es also keine Probleme. Wenn es nach ihm ginge, so Offergeld, könnte noch im August Baubeginn sei. Lediglich mit Philipp Holzmann in Dresden, Hauptauftragnehmer der abgebrochenen Sanierung, gibt es noch Klärungsbedarf über Rechnungen, die der Bauriese gestellt hat. Dies bestätigt uns auch Volker Springer, Oberbauleiter der Dresdner
Philipp-Holzmann-Niederlassung. Zwar sei Eigentümer Kunert allen
Zahlungen, die unmittelbar mit dem Bau zu tun haben haben, nachgekommen,
aber Kosten, die durch den vertragswidrigen Abbruch entstanden seien,
sind noch offen. Dazu müsse es eine Lösung geben. Bauen wolle
man aber auf jeden Fall und das so schnell als möglich, da jede weitere
Verzögerung die Substanz der Gebäude weiter angreift. |
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"Die
Aufgabe hat mich gereizt" - Im Gespräch mit Walter Steglich - Walter Steglich ist seit 1996 Technischer Vorstand der Wohnungsgenossenschaft Trachau-Nord eG (WGTN). Zum Jahresende wird er in den Ruhestand gehen. TBZ sprach mit ihm über Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges.Herr Steglich, Sie werden zum Jahresende ihre Funktion als Technischer Vorstand der Wohnungsgenossenschaft Trachau aufgeben und in den Ruhestand treten. Sie haben in einer entscheidenden Phase Verantwortung für die Genossenschaft gehabt. Was waren rückblickend für Sie die wichtigsten Ereignisse?Die Anerkennung durch Bewohner und Außenstehende nach Abschluss der Sanierung war für uns sehr wichtig. Zwischendurch gab es da doch viele Ecken und Kanten. Wichtig war, dass wir mit den vorgegebenen Mitteln ausgekommen sind und dass wir mit dem geringen Eigenkapital von anfangs fünf Millionen Mark etwa 123 Millionen Mark investiert haben, ohne Liquiditätsprobleme zu bekommen. Es ist vieles erreicht worden in der Zeit. Der äußere Zustand der Siedlung hat sich deutlich verbessert. Was war dabei besonders wichtig?Neben den schon erwähnten wirtschaftlichen Restriktionen, denen wir uns unterwerfen mussten, um die Genossenschaft nicht in Gefahr zu bringen, war es ganz besonders wichtig, die widersprüchlichen Strömungen zwischen Bewohnern, Baufirmen, Denkmalschutz und Genossenschaft auszubalancieren. Wir haben letzten Endes für die Bewohner gehandelt, wir konnten ihnen aber nicht immer ihre Wünsche erfüllen. Ich denke schon, dass die gesamte Geschäftsstelle hier großen Anteil hat, insbesondere das Baubüro. Die Mitarbeiter haben wirklich Überdurchschnittliches geleistet. Für bedeutend halte ich auch, dass wir die zwei Laubenganghäuser für Ältere und betreutes Wohnen eingerichtet haben. Parallel dazu haben wir den überdurchschnittlichen Bestand an Kleinwohnungen minimieren können. Ich erlaube mir einmal einen Rückgriff. Sie haben 1996 Ihr Amt übernommen. Da waren Sie 59 Jahre. Was hat Sie bewogen, sich in dem Alter auf dieses Abenteuer einzulassen?Ich war mein Leben lang in der Entwicklung, Planung und Projektierung
von Industrieanlagen tätig. Das hat mich als Ingenieur immer gereizt.
Mit der Wende wurde mein Projektierungsbetrieb, wie viele andere, dicht
gemacht, und ich stand auf der Straße. Mit 53 habe ich mich um neue
Arbeit bemüht und ein halbes Jahr nur Bewerbungen geschrieben. Da
kam durch Zufall ein Angebot. Jemand, der auch neu beginnen musste, sagte:
"Ich habe ein Unternehmen, bau´ mir doch eine Hausverwaltung
auf." Ich war sehr skeptisch. Es war für mich vollkommen fremd.
Kaufmännisch, mietrechtlich war ich nicht vorbelastet, damit habe
ich mich dann auseinandergesetzt und eingearbeitet. Es ist gelaufen und
hat auch Spaß gemacht. Die Siedlung gehört einer Genossenschaft. Welche Vorstellungen haben Sie für die Zukunft von dieser Genossenschaft, deren Mitglied Sie ja auch sind?Wichtig für die Genossenschaft ist, dass man den Kapitaldienst, der naturgemäß aus der Sanierung entsteht, in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren so in den Griff bekommt, dass man nicht in Liquiditätsprobleme gerät. Und dass gleichfalls für die Bewohner die Mieten in einem erträglichen Umfang liegen. Weiterhin, dass sich die Genossenschaft nach dem Stress der Sanierung nun kontinuierlich als Dienstleister gegenüber den Bewohnern profilieren kann. Es ist für eine lange Zeit eine gesunde Basis vorhanden, auf der man aufbauen kann. Restaurierungen wie Türen, Fußböden, Elektrik - insbesondere in den bewohnten Wohnungen während der Sanierung - können nur entsprechend der finanziellen Möglichkeiten realisiert werden. Das wird nicht immer ganz einfach zu steuern sein. Aber ich bin hier Optimist. Meinen Nachfolger, Herrn Menzel, kenne ich aus jahrelanger Zusammenarbeit. Ich habe keine Bedenken, dass es Probleme gibt. Ein Gedanke bei der Gründung der Genossenschaft war "Wohnen sicher und in Gemeinschaft". Wie sehen Sie das für die Zukunft verwirklicht?Das "Sicher-Wohnen" hat sich etwas relativiert. Dadurch, dass ein Überangebot an Wohnungen vorhanden, und natürlich der Wohnungseigentümer froh über jeden Mieter ist, hat das "Sichere Wohnen" zur Zeit nicht den Stellenwert. Es ist aber in einer Genossenschaft immer gegeben. Die Gemeinschaft muss sich herausbilden, ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt und gefördert werden. Wir konnten es während der Sanierungszeit nicht. Da hatten wir andere Probleme. Aber es ist eine zukünftige Aufgabe der Genossenschaft! Am 21. Dezember ist Ihr letzter Arbeitstag in der Genossenschaft. Danach beginnt Ihr Privatleben - wieder. Was haben Sie sich dafür vorgenommen?Herr Naumann, hier möchte ich meiner Frau danken, dass sie mir in den letzten fünf Jahren den Rücken freigehalten hat. Ich glaube, ich werde erst einmal richtig ausruhen. Und dann mache ich all das, wozu ich in den letzten Jahren nicht gekommen bin, dass heißt, ich werde regelmäßiger Sport treiben, wieder mehr wandern, lesen, was ich früher leidenschaftlich gemacht habe, und dann schließe ich mich an´s Internet an. Das sind die kurzfristigen Ziele, die ich erst einmal vor mir habe. Dafür wünsche ich Ihnen alles Gute und bedanke mich für
das Gespräch. |
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Siemens schließt
Röntgenwerk Man hätte an einen verfrühten Faschingsscherz denken können, als die Mitarbeiter der Medizintechnik von Siemens und ihre Angehörigen sowie Kollegen aus anderen Dresdner Betrieben mit einem Kranz von Übigau in den Elbepark zogen. Doch zu Scherzen waren sie nicht aufgelegt. Schließlich ging es um ihre Existenz. Die Geschäftsleitung der Siemens AG, Deutschlands großem Elektrokonzern, hatte beschlossen, die Ankündigung wahr zumachen und die Medizintechnik an ihrem traditionellen Standort zu schließen, die Produktion nach Bayern zu verlagern. Im September soll das ehemalige Röntgenwerk von TuR in Übigau endgültig geschlossen werden. Demontiert wird jetzt schon. Die dort noch beschäftigten rund 150 Mitarbeiter können entweder ins bayrische Kemnath mitgehen, sich anderswo um einen anderen Arbeitsplatz bemühen oder arbeitslos werden. Eine Einstellung bei Infineon, der hochgepriesenen Dresdner Siemens-Tochter, blieb für sie, trotz vollmundiger Ankündigung, nur ein Wunschtraum. Sicher, in das tiefe Loch wird man nicht fallen, schließlich gibt es dank Mitwirkung des Betriebsrates einen Sozialplan, aber sowohl wirtschaftspolitisch als auch technisch ist diese Entscheidung der Geschäftsleitung von Siemens sehr fraglich. Zukunftsorientiert ist sie sowieso nicht, aber dass war schon längere Zeit abzusehen, denn sowohl im Trafowerk, als auch im Bereich Medizintechnik wurden schon seit Jahren keine Lehrlinge mehr ausgebildet. Mit dieser Schließung beginnt wohl nun endgültig das letzte
Kapitel der Medizin- und Hochspannungstechnik in Übigau. Ob es 2002
noch eine 100-Jahr-Feier geben wird? |
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SIEMENS will
Röntgenwerk schließen Nach Feiern ist ihnen im Moment nicht zumute, den rund 150 verbliebebenen Mitarbeitern der SIEMENS-Medizintechnik in Dresden-Übigau. Obwohl es ja Grund genug gäbe, schließlich wurde der Grundstein für das neue Röntgenwerk vor 50 Jahren gelegt. Und normalerweise werden bei solchen Anlässen Reden gehalten und Sektgläser gereicht. Doch nichts von alledem erwartet die ehemaligen TuR-Werker, die zu den verblieben rund 300 Mitarbeitern gehören, die von SIEMENS 1992 übernommen wurden. 300 von einstmals 3500 am Standort Dresden. Es ist ein Tod auf Raten, der da von Deutschlands Elektrogiganten verordnet wird. Dabei sollte alles ganz großartig laufen. Arbeitsplätze in Größenordnungen wurden versprochen, als man 1992 das traditionsreiche TuR-Werk von der Treuhand übernahm. Doch wurde auch schon sortiert. Zu den guten die ins Töpfchen kamen, gehörte neben der Medizintechnik mit eigener Vorfertigung, der Bereich Transformatoren sowie die Hochspannungstechnik. Letztere wurde inzwischen durch Ausgründung zu einem eigenständigen Unternehmen. Für den Bereich Messwandler, viertes Standbein von TuR, interessierte sich SIEMENS nicht. Ihm gelang es im Management buy out ebenfalls ein eigenständiges Unternehmen zu werden. Zwischenzeitlich zog man von Übigau nach Ottendorf. Leider haben die "Röngenwerker" eine solche Chance nicht mehr. Und das obwohl eigentlich alle Zeichen für sie sprechen. In die "Ehe" mit SIEMENS brachte man sogar eigene Entwicklungen und beste Kontakte zu Osteuropa ein. Und überdies gab´s noch ein riesiges Gelände dazu, das für einen lächerlich niedrigen Preis zu erwerben war. Dies spielt aber alles keine Rolle mehr. Die Produktion, wenn sie überhaupt noch weitergeführt wird, geht an den Stammsitz, nach Bayern. Offiziell heißt es zwar, diese sei unrentabel oder durch schlechte Auftragslage im Osteuropageschäft nicht weiterzuführen. Dies aber scheinen eher Vorwände denn wirkliche Gründe zu sein, so sieht es jedenfalls der Betriebsrat. Der steht allerdings selbst unter Druck, wird von der Geschäftsleitung argwöhnisch beobachtet und ist deshalb kaum zu Aussagen bereit. Aber geschlagen gebe man sich trotzdem nicht, schließlich gebe es genügend Argumente, die für den Erhalt des Standortes sprechen. Druck auf SIEMENS notwendigAllerdings müsse dann auch von anderen Stellen Druck auf SIEMENS gemacht werden, zum Beispiel seitens Stadt und Land. Dort gibt man sich aber bedeckt, hält sich mit Kritik zurück. Schließlich hat SIEMENS ja eine weitere milliardenschwere Investitionen in Dresden angekündigt. Welche Rolle spielen da schon 150 Arbeitsplätze? Übrigens, die Ankündigung der neuen Ausbaustufe der SIEMENS-Tochter
Infineon kam am gleichen Tag, wie die Bekanntgabe der Schließung
des Röntgenwerkes. |
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11 Jahre danach: Bilanz eines Mittelständlers Knut Müller von Beruf Elektroingenieur arbeitete viele Jahre als Wartungsingenieur bei TuR in Übigau. Nach der Wende beschloss er, seine eigene Firma zu gründen. Herr Müller, Ihre Firma gibt es jetzt seit über 10 Jahren. Was war rückblickend auf diese Zeit wichtig, interessant und schön?Schön ist die Freiheit, sich selbst verwirklichen zu können,
sein eigener Chef zu sein. Das ist auch nicht mit Geld aufzuwiegen, selbst
wenn man die gesteckten Ziele nicht immer erreicht. Wir hatten voriges
Jahr "Zehnjähriges"! Das war erfreulich, denn so viele
sind in meiner Branche nicht mehr am Markt. Da bin ich schon stolz, es
geschafft und mich als Teil der Dresdner Wirtschaft etabliert zu haben.
Jetzt sind wir sogar in einigen Bereichen Marktführer, zum Beispiel
bei Elektroheizung und Gebäudeleittechnik. Sie sind also mit dem bisher Erreichten zufrieden?Zufrieden können wir nicht sein, es reicht nie. Für Rente und andere Verpflichtungen müssen wir wegen der hohen Investitionsbelastungen durch Grundstückskauf, die Bauten am Firmengebäude und anderes noch viele Jahre arbeiten. Die ständigen Investitionskosten darf man auch nicht unterschätzen. Ein Jahr weniger zu investieren, um dieses Geld zu sparen, das kann man einfach nicht machen. Entweder spielt man mit oder gerät in Schwierigkeiten. Mit welchen Probleme sehen Sie sich konfrontiert?Die katastrophale Zahlungsmoral vieler Kunden macht uns große Schwierigkeiten.
Wir rennen Außenständen bis zu sechsstelligen Beträgen
hinterher. Das ist heute ein flächendeckendes Problem geworden. Es
existieren auch viele Scheinfirmen, die das Geld immer nur beerdigen.
An die Schuldigen kommt man nie wirklich heran. Heute kann man keinen
Vertrag mehr machen, wie früher: Ich bin der Schulze, du bist der
Meier und was wir sagen gilt. Wie beurteilen sie die Konjunkturaussichten?Der Konjunktureinbruch, den wir jetzt haben, bereitet uns ebenfalls beträchtliche Probleme. Uns haben die letzten zehn, elf Jahre nicht gereicht, um alles das nachzuholen, was betriebswirtschaftlich notwendig ist, zum Beispiel Finanzierung der Grundstücke und Liegenschaften, Werkstattausrüstungen. Wir haben große Summen für die Weiterbildung des Personals ausgegeben. Diese Summen konnten wir in der Zeit einfach nicht abarbeiten. Wir hätten ein Zeitfenster von etwa 15 Jahren gebraucht, um alle notwendigen Startkredite und Erweiterungsinvestitionen zu tilgen. Da das Kapital nicht eingearbeitet werden konnte, werden uns die nächsten Jahre massive Pleiten bescheren. Die Gewinne der ersten Jahren haben wir in den letzten Jahren wieder eingebüßt. Die Meinung, die Ossis sind die Schwarzseher, ist also nicht an den Haaren herbeigezogen?Nein, das ist richtig und das liegt aber in der Sache begründet,
weil man es nicht anders machen kann. Alle, die ihre Firmen wieder übernommen
haben sind doch in einer schwierigen Situation. Sie haben die Betriebe
mit ihren Altschulden bekommen und mussten riesige Investitionen machen,
weil alles runtergelumpert war. Ich denke nur an TuR. Wir hatten noch
Maschinen und Anlagen von 1936. Die Gebäude waren im desolaten Zustand,
waren zergliedert, es gab keine baulichen Komplexe, man hatte fünf
Werkhallen, acht Anbauten. Der Energieverbrauch war deshalb gewaltig.
Da musste sofort saniert werden. Das sind riesige Investitionen gewesen,
um runterzukommen von den Betriebs- kosten und modernste Maschinen und
Anlagen anschaffen. Deshalb haben wir ja jetzt die ganzen Jahre Abgänge
in der Industrie. Und welche Lösungswege gibt es?Den Betrieben fehlt Kapital, und sie müssten entschuldet werden.
Nur so ein radikaler Schnitt würde ihnen wirklich helfen. Die Ansätze
sind gemacht, zum Beispiel durch das Beteiligungskapital, bei dem der
Bund oder das Land Anteilseigner der Firmen wird. Sie beteiligen sich
auf eine bestimmte Zeit und erhöhen so das Eigenkapital. Damit kann
man leichter Fremdkapital aufnehmen. Nach einer bestimmten Zeit, wenn
das Erzeugnis am Markt eingeführt ist und Gewinn abwirft, ziehen
sie sich wieder aus dem Unternehmen zurück. Mit entsprechender Gewinnbeteiligung
natürlich. Haben Sie die Hoffnung, dass das bald kommen könnte?Nein, das wird sich hinziehen. Die Beteiligungsgesellschaften entwickeln sich zunehmend, aber wir haben schneller Abgänge als das Entscheidungen getroffen werden. Warum hat man so lange gebraucht, um dieses Konzept zu verwirklichen?Es gibt schon lange die Buisness-Angel. Auch beim Deutschen Verband der Mittelständischen Wirtschaft (DVMW) sind sie angesiedelt. Junge oder auch gestandene Unternehmen, die neue Produkte auf den Markt bringen wollen, können darüber Beteiligungskapital über Privatinvestoren einwerben. Das bedeutet aber, dass ich Kontakte habe, um auch ohne große Formulare Unterstützung zu erhalten. Ich muss also in einem Netzwerk von Wirtschaft und Politik sein. Wir haben einfach zu viel mit unsrer Arbeit zu tun. Uns fehlen Zeit und Erfahrungen. Und es fehlt uns auch noch der Wille, sich in Gremien und Gesellschaften zu engagieren, in denen man sich einbinden kann.. Lions-Club, Tennis- und Golfplatz, wo man viele Leute kennen lernt; sind aber nicht jedermans Sache. Da gibt es sicher wohl noch innere Vorbehalte?Ich selbst bin kein Fan solcher Sachen. Nur der Geschäftskontakte wegen, das liegt mir nicht. Das ich deswegen jetzt Tennis spielen müsste oder mit dem Caddy über den Golfplatz rennen und gucken, was kann ich in der Cafeteria für Geschäfte abschließen, das ist nicht meine Sache. Dazu muss man auch mental bereit sein. Sie sind nicht nur Firmenchef, Sie arbeiten auch im Bundesvorstand der Mittelständischen Industrie mit. Was erhoffen Sie sich davon?Der DVMW ist die einzige Organisation, wo kein politisches Handeln und Denken im Vordergrund steht, sondern wo Sacharbeit geleistet wird. Da fragt keiner nach irgendeiner Parteizugehörigkeit, da ist man nicht schwarz, rot oder grün, sondern da ist man einfach wirtschaftsaktiv. Das ist das, was dem Land überhaupt fehlt. Hier kennt man die Probleme des Wirtschaftsstandortes Sachsen und speziell die von Dresden. Ganz zum Schluss noch eine Bemerkung zu den blühenden Landschaften im Osten nach zehn Jahren. Wann werden wir sie geschafft haben?Da werden noch einmal 20 Jahre vergehen, und ob' s dann blühend
ist, das hängt viel davon ab, wie die Osterweiterung der EU gelingt.
Dort haben wir viele Chancen aber auch Risiken. Wenn es gut gelingt, dann
kommen wir den blühenden Landschaften nahe. Gelingt es nicht, dann
brauchen wir nicht mehr darauf zu achten, dann reichen auch 20 Jahre nicht.
Wie die Politik die beschlossene Erweiterung der EU in Griff bekommt,
ist entscheidend. Das ist der Dreh- und Angelpunkt. |